Mann nennt sie „La Furia Roja“ oder die „Rote Furie“ – die spanische Fußball-Nationalmannschaft. Ihr Spiel ist durch das legendäre Tiki-Taka geprägt und ihre WM- und EM-Historie zeugt von Klasse. Die Wurzeln des Namens liegen weit in der Vergangenheit und wurden bei den Olympischen Spielen 1920 geprägt, als Spanien überraschend die Silbermedaille holte.
Bei der WM 2014 in Brasilien gehört Spanien zum erweiterten Kreis der Favoriten. Doch die Erfolge der Vergangenheit scheinen verblasst und die Euphorie bezüglich der Titelverteidigung gedämpft. Als zu antiquiert gilt das klassische und doch altbewährte Kurzspass-Spiel, dass zwar bei der EM 2008, WM 2010 und EM 2012 den ersehnten Titel brachte, in der jüngsten Vergangenheit jedoch immer mehr an Effektivität eingebüßt hat. Beste Beispiele hierfür scheinen der FC Barcelona und der FC Bayern München zu sein. Während erster mit dem Tiki-Taka Taktik von 2009 bis 2013 Erfolge feierte und 15 Titel holte, war bei der diesjährigen Champions League im Viertelfinale gegen Atletico Madrid Endstation. Damit endete eine siebenjährige Ära für Messi, Neymar & Co. Pep Guardiola, ehemals Trainer beim FC Barcelona, brachte das Kurzspass-Spiel, das seinen Namen dem spanischen Begriff für Klick-Klack Kugeln verdankt, nach Bayern. Die Münchener schieden im Halbfinale der Champions League gegen Real Madrid Aus. Der Spielstil wurde als reiner Selbstzweck mit sinnlosem Ballbesitz deklariert.
Abbildung oben: die Wettquoten für den Weltmeister 2014! Titelverteidiger Spanien zählt auch in Brasilien zu den Top Favoriten auf den Listen der Wettanbieter. Die Grafik stammt von der Seite www.wettfreunde.net/wm-2014-quoten (Stand Anfang Mai 2014), auf dieser Seite findet man auch die WM Quoten für alle anderen Teilnehmer.
Doch es ist nicht die Tiki-Taka Spielweise alleine, die den spanischen Fußball ausmacht, sondern viele faszinierende Aspekte und hochrangige Akteure, deren Interaktion stets von Harmonie und Symbiose geprägt zu sein scheint. Bei der Auslosung für die WM-Endrunde hat es das Glück nicht allzu gut mit Spanien gemeint. Sie spielen in der Gruppe B gegen Niederlande, Chile und Australien. Gleich zum Auftakt muss der Weltmeister in einer Neuauflage des WM-Finals von 2010 gegen Vize-Weltmeister Holland antreten. Zudem ist auch Chile als weiterer Gruppengegner nicht zu unterschätzen. Ein ähnlicher Fehlstart wie 2010, als man im ersten Spiel der Schweiz mit 0:1 unterlag, sollte also tunlichst vermieden werden.
Verpasste Viertelfinals und der Weg zum Titelverteidiger
1950 nahm die Furie erstmals an der Weltmeisterschaft in Brasilien nach den Wirren des spanischen Bürgerkriegs und des zweiten Weltkriegs teil. Sie wurden allerdings nur Vierter. Der erste Titelgewinn kam 14 Jahre später bei der EM 1964 vor heimischer Kulisse und sollte auch für lange Zeit der letzte bleiben.
Die Heim-WM 1982 markierte einen besonders schmerzlichen Punkt in der spanischen Titelgeschichte. Gerade als die innenpolitischen Wirren sich allmählich beruhigt hatten und das Land den Weg zur Demokratie beschritten hatte, wollte man sich auch auf sportlicher Ebene der Welt entsprechend präsentieren. Doch dies misslang. Spanien erreichte nur mit Mühe die zweite Gruppenphase, wo man gleich das Auftaktspiel gegen Deutschland verlor und als Gruppenletzter aus dem Turnier ausschied.
Doch die Fußballgötter schienen der roten Furie ganz und gar nicht hold zu sein und unterzogen sie weiteren schweren Prüfungen. Zwischen 1986 und 2006 schieden die Spanier mit einer fast unheilvollen Regelmäßigkeit im Viertelfinale aus. Mit der EM 2008 in Österreich und der Schweiz schien der Bann schließlich gebrochen und die Tiki-Taka Spielweise zum ersten Titel seit langem der Schlüssel zum Titelerfolg zu sein. Nach diesem Titel stand die Furie zum ersten Mal in der Geschichte auf dem ersten Platz in der FIFA-Weltrangliste.
Den ersten WM-Titel holten sich die Iberer 2010 in Südafrika. Mit diesem Titel gingen auch die Verleihung des Goldenen Handschuhs an Torwart Iker Casillas und die Auszeichnung von David Villa als drittbestem Spieler mit dem bronzenen Ball einher. Mit dem Europameistertitel 2012 in Polen und der Ukraine gelang der spanischen National-Elf als erster Mannschaft die Titelverteidigung, die damit als erste europäische Mannschaft drei Titel in Folge gewinnen konnte.
Qualifikation für die WM 2014
In der Qualifikation für die WM 2014 in Brasilien musste sich Spanien gegen Frankreich, Finnland, Georgien und Weißrussland behaupten. Die Franzosen verwies man im Auftaktspiel souverän auf Platz zwei, Punkte liegen gelassen hat der Titelverteidiger nur in den Heimspielen gegen Frankreich und Finnland (jeweils 1:1). Die anderen sechs Partien wurden gewonnen, doch die sichere WM-Fahrkarte wurde erst am letzten Spieltag mit einem Sieg gegen Georgien (2:0) gelöst. Immer, wenn es darauf ankommt, können die Iberer noch etwas nachlegen und so ein Spiel zu ihren Gunsten entscheiden. Dies musste in der Vorbereitung auf die Endrunde in Brasilien auch Italien feststellen, das sich in einer Testpartie Anfang März mit 0:1 geschlagen geben musste.
Gegner auf dem Weg zum WM-Titel
Die Spanier dürfen sich keinen Ausrutscher wie in Südafrika, als die Auftaktpartie gegen die Schweiz mit 0:1 verloren ging, leisten, denn bereits im Achtelfinale könnte Brasilien warten. Sowohl Spanien als auch die Niederlande werden alles daran setzen, um ein Aufeinandertreffen mit dem großen Turnierfavoriten zum Auftakt der K.O.-Phase zu vermeiden. Wenn sich der Gastgeber in der Gruppe A wie erwartet Platz eins sichert, kann nur der Gruppensieg ein Achtelfinalduell mit dem Rekordweltmeister verhindern. Dementsprechend große Bedeutung kommt bereits dem Spiel gegen die Niederlande zu. Allerdings sollten die Iberer auch Chile nicht unterschätzen. Angesichts der fraglos noch immer vorhandenen Stärke der Mannschaft sollte einem Gruppensieg aber nichts im Weg stehen. Zu bedauern bleibt hier alleine Australien, dem gegen die tänzelnden Legionäre unter Trainer Vicente Del Bosque vermutlich nur eine Statistenrolle zukommen wird.
Die Wettanbieter sehen in einem Aufeinandertreffen mit dem Gastgeber die größte Wahrscheinlichkeit des Ausscheidens im Achtelfinale für die Iberer. Allerdings könnte der bittere Nachgeschmack an den Confederations Cup, bei dem die rote Furie von Brasilien mit einem 0:3 in die Schranken verweisen wurde, für den nötigen Heißhunger auf eine Revanche gegen den Gastgeber sorgen. Geht es stattdessen aber gegen Kroatien, können sich die Spanier, wenn nicht gelassen zurücklehnen, so doch zumindest in einer vorteilhaften Position seitens der Wettanbieter sehen. Wird der Einzug ins Viertelfinale ebenfalls gemeistert, könnten dort bereits die Azzurri auf eine Revanche für die 0:4 Pleite beim letzten EM-Finale gegen Spanien die Messer wetzen und sich mit Sicherheit nicht so einfach abwimmeln lassen.
Die furiosen Legionäre unter Vicente Del Bosque
Zwar ist die Klasse der Spanier weiterhin unbestritten, aber einige Akteure sind nicht mehr in der Form vergangener Jahre und haben bereits an die 30 Lenze auf dem Buckel. Zudem hatte die Konkurrenz ausreichend Gelegenheit, sich auf das Spiel der Iberer einzustellen und Gegenmittel zu entwickeln. Bei den letzten Turnieren brillierte das Team von Trainer Vicente Del Bosque, der das Amt des Teamtrainers 2008 vom im Februar 2014 verstorbenen Luis Aragones übernahm, vor allem mit dominantem Ballbesitz im Mittelfeld.
Nach einigen Verletzungen waren zuletzt weder David Villa noch Fernando Torres Stammspieler bei ihren Vereinen und wurden in der Folge auch nicht mehr für das Nationalteam berücksichtigt. Zuletzt kamen im Angriff zumeist Pedro und Alvaro Negredo zum Einsatz. Dazu machte vor allem Diego Costa auf sich aufmerksam. Ob sie allerdings die Klasse haben, um Spanien erneut den WM-Titel zu sichern, müssen sie erst beweisen.
Im Mittelfeld ist der Titelverteidiger jedoch fraglos fantastisch besetzt. Neben Iniesta, Xabi Alonso und Xavi, der auch noch mit 34 Jahren ein begnadeter Spielmacher ist, stehen mit den beiden Bayern-München-Stars Thiago und Javi Martinez auch zwei Bundesliga-Spieler im spanischen Kader.
Auch in der Abwehr des Welt- und Europameisters wird vor allem auf erfahrene Spieler gesetzt. Im Tor ist Iker Casillas auch als Real-Reservist mit über 150 Länderspielen erste Wahl. Verteidiger und Klubkollege Sergio Ramos hat ebenfalls weit über 100 Länderspiele absolviert.
Nach Italien (1934 und 1938) und Brasilien (1958 und 1962) könnte Spanien die dritte Nation werden, die ihren WM-Titel verteidigt. Genau das ist auch das Ziel von Vicente del Bosque und seiner Mannschaft. Allerdings werden andere Mannschaften stärker in der Favoritenrolle gesehen als die Iberer. Auch Argentinien wird alles daran setzen, auf seinem Heimatkontinent heftig Furore zu machen und Deutschland will sich seit 1990 endlich wieder einen Titel krallen. Mag sein, dass Spanien etwas vom Glanz der alten Tage eingebüßt hat. Mag sein, dass Del Bosque sich eine komplett neue Spieltaktik zurechtlegen muss. Doch Spanien ist und bleibt bei der WM 2014 der Titelverteidiger und wird ein gewichtiges Wort um den Titel mitreden. Ob mit, oder ohne Tiki-Taka.